GSAH | Workshops für Doktorierende

Im Raume lesen wir die Zeit – Ein Morgen für Doktorierende und Interessierte mit Prof. Dr. Karl Schlögel

Montag, 15.05.2023, 10:15 Uhr

Prof. Dr. Karl Schlögel | Friedrich Dürrenmatt Gastprofessor Frühjahrssemester 2023

Workshop für Doktorierende und Interessierte

Veranstaltende: Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur | Graduate School of the Arts and Humanities
Redner, Rednerin: Prof. Dr. Karl Schlögel | Friedrich Dürrenmatt Gastprofessor Frühjahrssemester 2023
Datum: 15.05.2023
Uhrzeit: 10:15 - 13:00 Uhr
Ort: Seminarraum 216
Uni Mittelstrasse
Mittelstrasse 43
3012 Bern
Anmeldung: to mike.toggweiler@unibe.ch and on KSL
Merkmale: Öffentlich
kostenlos

Moderation: Prof. Dr. Oliver Lubrich | Universität Bern

ECTS: 1 (für GSAH-Mitglieder anrechenbar im Wahlpflichtbereich)
Sprache: Deutsch, Diskussionsinputs können auch in Englisch erfolgen.

Offensichtlich folgt auf eine Zeit der Entgrenzung und Ortlosigkeit eine neue Aufmerksamkeit für Grenzziehungen, Schauplätze, die Spezifik von kulturellen Identitäten. Von einem Verschwinden des Raums und einem Bedeutungsverlust von Orten zugunsten einer nur noch virtuellen Weltwahrnehmung ist in der sogenannten „Zeitenwende“ nicht mehr viel die Rede. Die Auflösung eines Erfahrungsraums, der sich über Jahrzehnte und Generationen hin aufgebaut hat, öffnet neue Erfahrungsräume, setzt Erschliessungs- und Entdeckungsbewegungen in Gang, in der Sichtweisen, Forschungspraktiken  und Disziplinen an Aktualität gewonnen haben, die vielfach in Vergessenheit geraten waren. Es ist eben kein Zufall, dass Geopolitik ein Terminus der Stunde ist, dass Karten- und Raumbilder eine herausragende Rolle bei der Exploration und Definierung einer sich neu formierenden politischen, kulturellen und mentalen Landschaft spielen: Ortskenntnisse an Stelle allgemeiner Einschätzungen, die Versenkung ins Detail anstelle von Modellen und Systemen, Praktiken der Exploration und konkreten Beschreibung. Nicht zuletzt dürfte die Welt der Zeitenwende, so es diese überhaupt gibt, neue Genres hervorbringen bzw. in Vergessenheit geratene rehabilitieren. Gesellschaften, politische Ordnungen, Individuen „stellen sich neu auf“, aber auch die Wissenschaften, in denen - die Einzeldisziplinen übergreifend - das Raumdenken auf verschiedenste Weise  virulent geworden ist – von der Anthropologie bis zur Kunstgeschichte oder Literaturwissenschaft.

Pflichtlektüre:
Karl Schlögel, Narrative der Gleichzeitigkeit oder Die Grenzen der Erzählbarkeit von Geschichte, in: Merkur, Juli 2011, 65.Jahrgang, Heft 746, pp 583-595.
Walter Benjamin, Paris, die Hauptstadt des XIX.Jahrhunderts, in: Das Passagen-Werk, Gesammelte Schriften V, 1., hg. Von Rolf Tiedemann, Frankfurt/Main: Suhrkamp 1982, S.45-59.

Weiterführende Lektüre:
Franz Hessel, Ein Flaneur in Berlin. Neuausgabe von Spazieren in Berlin; Hrsg. und mit einem Nachwort von Peter Moses-Krause. Mit Fotografien von Friedrich Seidenstücker, Verlag Das Arsenal, Berlin 2011.
Alexander von Humboldt, Ansichten der Natur, mit wissenschaftlichen Erläuterungen und sechs Farbtafel nach Skizzen des Autors, Frankfurt am Main, Eichborn 2004, 215-234 (Das nächtliche Thierleben im Urwalde).
Karl Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München: Hanser 2003.

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Im Frühjarssemester 2023 übernimmt Prof. Dr. Karl Schlögel die Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern. Karl Schlögel, geboren 1948, hat in Berlin, Moskau und Sankt Petersburg studiert. Bis 2013 lehrte er als Professor für Osteuropäische Geschichte. Er ist als Historiker und Publizist einer der profiliertesten Kenner des postsowjetischen Europa. In «Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen» hat er bereits 2015 auf die russische Aggression und die Bedeutung der Ukraine für Europa aufmerksam gemacht. Für sein Buch «Das sowjetische Jahrhundert. Archäologie einer untergegangenen Welt» erhielt er im Jahr 2018 den Leipziger Sachbuchpreis.