Graduate School of the Arts and Humanities (GSAH)

HS 2017
Schlüsselkonzepte der Geistes- und Sozialwissenschaften - Lektürekurs

Texte sehen / Bilder lesen – Schriftbilder im Wandel

Montag, 30.10.2017, 10:15 Uhr


Die Lektürekurse zu ausgewählten Schlüsselkonzepten in den Geistes- und Sozialwissenschaften finden im Rahmen des Pflichtbereichs des Doktoratsprogramms Interdisciplinary Cultural Studies statt. Er versteht sich als ein Peer-to-Peer Workshop, in dem die Teilnehmenden ihre Lektürevorschläge einbringen und diskutieren können. Im HS 2016 fällt der Lektürekurs mit dem des Doktoratsprogramms Global Studies zusammen.

Veranstaltende: Global Studies und Interdisciplinary Cultural Studies | Graduate School of the Humanities | Walter Benjamin Kolleg
Redner, Rednerin: Dr. Florence Oloff (Linguistik / Kommunikationswissenschaften, Walter Benjamin Kolleg Bern), Dr. Isabella Augart (Kunstgeschichte, Walter Benjamin Kolleg Bern)
Datum: 30.10.2017
Uhrzeit: 10:15 - 18:00 Uhr
Ort: Raum F-103
Unitobler
Lerchenweg 36
3012 Bern
Merkmale: Öffentlich
kostenlos

Kursbeschreibung

Längst sind vielfältige Formen „optischer Poesie“ (Dencker 2011) Teil unseres medialen Alltags geworden. Im Bereich der Kunst, in Zeitschriften und Comics, in den Werbeplakaten und Graffitis im öffentlichen Raum, in Websites oder Chat-Applikationen auf mobilen Endgeräten ziehen Visualisierungen von Schrift die Aufmerksamkeit auf sich. Grundbedingung der Schrift ist ihre Sichtbarkeit. Das Erblicken des Schriftkörpers und das Entziffern der Repräsentation sind eng miteinander verbunden (Strätling/Witte 2006). Ziel des Lektüreworkshops ist es, dieser Dynamik zwischen Sehen und Lesen nachzugehen und nach Notationen, Wahrnehmungspraktiken und Relationen von Bild und Text im Medium der Schrift zu fragen.

Von der mittelalterlichen Buchmalerei bis hin zu zeitgenössischen Medien stehen Bild und Text nicht in Konkurrenz zueinander, sondern formen hybride dichte Botschaften. Komplexe Schriftsysteme aus dem altägyptischen, mesoamerikanischen oder auch chinesischen Raum operieren im Schwellenbereich zwischen Ding, Bild und Schriftzeichen. Wenn das Bildliche auch im westlichen Raum eine ursprünglichere Kommunikationsform darzustellen scheint, so zeigt die Geschichte der westlichen Schrift eine Entwicklung von komplexen Piktogrammen hin zu abstrakteren Schriftcodes, eine Transformation vom Bild zur Schrift. Der Preis dieser Abstraktion in den literalisierten Gesellschaften ist jedoch die Notwendigkeit, diese Kulturtechnik zu erlernen. Durch die Verständlichkeit bzw. Unzugänglichkeit von Schrift werden soziale Gruppen als Schriftgemeinschaften konstituiert. Schriftkritische Überlegungen zu den überindividuellen ‚fremden’ Zeichen mündeten vielfach im Wunsch nach ursprünglicheren Alternativen zum Primat der Schrift.

Die Materialität und Medialität von Schrift ist in den letzten Jahren verstärkt in den Blick der Forschung getreten. In der bildwissenschaftlichen bzw. kunsthistorischen Forschung wurde nach der Bedeutung von Schrift in Bildern gefragt, es wurden neue Perspektiven sowohl auf intermediale Relationen zwischen Bild, Schrift und Ornament als auch auf den Status von „Schrift als Bild“ gewonnen. Literaturwissenschaftliche Analysen haben sich mit der visuellen Gestaltung von Textträgern und Praktiken des Schreibens und Lesens auseinandergesetzt. Text-Bild-Hybride in alten und neuen Medien wurden in den letzten Jahren verstärkt im Rahmen von Medien-, Kommunikations- oder Sprachwissenschaft unter die Lupe genommen (Stöckl 2004). Insbesondere die Sprachwissenschaft hadert jedoch mit ihrem analytischen Zugang zu visuellen Elementen, da sich hier sowohl die Frage nach adäquaten Methoden sowie der Sinnhaftigkeit einer sogenannten „Bildlinguistik“ stellt, die sich vom traditionellen Wirkungsbereich (Schrift und Sprache) der Linguistik zu lösen scheint. Gleichwohl haben sprach- und kulturwissenschaftliche Ansätze den iconic turn nicht ignoriert, sondern erkannt, dass die visual literacy (Kress & van Leeuwen 1996) nunmehr zu einer kulturellen Kernkompetenz geworden ist.

Ziel des Kurses ist eine interdisziplinäre Annäherung an Formen von Vermischungen zwischen Bild und Schrift sowie eine Diskussion adäquater Analysemethoden dieser Formen. Anhand ausgewählter Texte soll herausgestellt werden, ob und wie verschiedene geisteswissenschaftliche Disziplinen Bild und Schrift abgrenzen und welche Konsequenzen sich aus diesen Unterscheidungen für die Herstellung, Rezeption und Bedeutung solcher „hybriden“ Formen innerhalb einer zunehmend vernetzten Gesellschaft und der Wissenschaft ergeben. Erfordern diese Formen eigene, neue Herangehensweisen und welche Disziplinen können hierzu einen bedeutsamen Beitrag leisten?

Lektüre zur Vorbereitung

Assmann, Aleida (2015). Im Dickicht der Zeichen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 189-234.
Barthes, Roland (1969). „Rhetorik des Bildes“ („Rhétorique de l'image“, 1964), in: Günther Schiwy, Der französische Strukturalismus, Hamburg: Rowohlt, 158–166.
Mersmann, Birgit (2015). Schriftikonik. Bildphänomene der Schrift in kultur- und medienkomparativer Perspektive, Paderborn: Fink, 13-20.
Schmitz, Ulrich (2011). Sehflächenforschung. Eine Einführung. In: Diekmannshenke, H.; Klemm, M.; Stöckl, H. (Hg.). Bildlinguistik. Theorien – Methoden – Fallbeispiele. Berlin: Erich Schmidt Verlag, 23-42.

Bei Bedarf können die Teilnehmende im Vorfeld gern eigene Lektürewünsche anbringen.

Dr. Florence Oloff

Florence Oloff hat nach ihrem Studium der Romanistik, Osteuropastudien, Journalistik und Sprachwissenschaft in Hamburg und Lyon 2009 an der Ecole Normale Supérieure Lettres et Sciences Humaines (Lyon) und der Universität Mannheim in allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Während und nach ihrer Dissertationsphase hat sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an verschiedenen Forschungsprojekten an der Universität Lyon und der Universität Basel mitgewirkt. Von 2014-2016 hat sie im Rahmen des Ambizione-Progammes des Schweizerischen Nationalfonds ihr eigenes Forschungsprojekt zu kooperativem Sprechen im Deutschen, Französischen und Tschechischen an der Universität Zürich durchgeführt. Als Spezialistin für Gesprächsforschung, Interaktionale Linguistik und Videoanalyse interessiert sie sich für Sprachgebrauch in der sozialen Interaktion in verschiedenen Sprachen und gesellschaftlichen Kontexten. In ihren bisherigen Arbeiten hat sie sich unter anderem mit dem Zusammenhang von Sprache und non-verbalen Mitteln, Mehrsprachigkeit am Arbeitsplatz sowie dem Gebrauch technischer Artefakte in der Interaktion auseinandergesetzt. Parallel zu ihrer Forschung hat sie als Lehrbeauftragte an den Universitäten Lyon 2 und Basel gearbeitet.

Dr. Isabella Augart

Isabella Augart hat Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft in Berlin, Rom und Oxford studiert. 2014 wurde sie an der Freien Universität Berlin mit der Arbeit „Rahmenbilder. Altarbilder mit eingebettetem Gnadenbild im frühneuzeitlichen Italien" promoviert. Die Dissertation entstand im Cluster Languages of Emotion und am Kunsthistorischen Institut in Florenz - Max-Planck-Institut. Nach einem Volontariat am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege war sie seit 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg im DFG-Projekt „natura-materia-artificio“ und assoziiertes Mitglied der Forschungsstelle Naturbilder. Seit Februar 2017 ist sie Junior Fellow am Walter Benjamin Kolleg in Bern.

Anmeldung:                       

Den Flyer zu diesem Angebot findet Ihr im Anhang. Ich bitte Euch um eine  Anmeldung bis 31.08.2017 an mike.toggweiler@unibe.ch.