Die Wahrheit in der Malerei
Dr. Franziska Struzek, Universität Luzern
Anlässlich einer Meinungsverschiedenheit zwischen dem Philosophen Martin Heidegger und dem Kunsthistoriker Meyer Schapiro über die Frage, ob in Vincent van Goghs Bild „Les vieux souliers“ die Schuhe eines Städters oder einer Bäuerin dargestellt sind, denkt Jacques Derrida über die Art von Wahrheit, die in Kunstbildern gegeben wird, und über die Relation zwischen inner- und ausserbildlicher Wirklichkeit nach.
Heidegger wendet sich in „Der Ursprung des Kunstwerks“ gegen die Auffassung von bildlicher Darstellung als Abbild von Wirklichkeit und fasst die Darstellung als ein Geschehen, als ein Ins-Werk-Setzen der Wahrheit auf. Dabei beschreibt er zwar van Goghs Schuhe als Wiedergabe von Schuhen einer Bäuerin, doch sein Wahrheitsbegriff funktioniert letztlich unabhängig davon, ob bei van Gogh nun Land- oder Stadtschuhe dargestellt sind. Derrida nimmt diesen Umstand in seine Überlegungen auf und macht ihn für sein eigenes Bildverständnis fruchtbar. Derridas Polylog entdeckt in Heideggers Aufsatz die Auffassung von Bildern als ursprüngliche Wieder-Gabe, bei der Wiedergabe und Hervorbringen keine Gegensätze mehr bilden. Diese parergonale Struktur stellt Derrida der Idee der Repräsentation als das Wesensmerkmal der Malerei entgegen.
Datum: 7./14. März 2011
Zeit: 13:00-17:00 Uhr
Ort: Universität Bern, UniS, Schanzeneckstrasse 1, Raum A015
Franziska Struzek
Franziska Struzek-Krähenbühl hat an der Universität Zürich Germanistik, Philosophie sowie Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (AVL) studiert und zur Philosophie der Sprache bei Novalis promoviert. Sie unterrichtete am Deutschen Seminar und am Seminar für AVL in Zürich sowie als Gastdozentin am Peter Szondi-Institut für AVL an der Freien Universität Berlin. Zudem arbeitete sie als Redaktorin bei den Literaturzeitschriften „figurationen“ und „variations“. Ihre Forschungsschwerpunkte sind insbesondere die Philosophie der Sprache und der Erkenntnis, die Literaturtheorie sowie das Verhältnis der Künste. Zurzeit koordiniert sie die Graduate School of Humanities and Social Sciences an der Universität Luzern und verfasst eine Habilitationsschrift mit dem Arbeitstitel „Bildereignis. Bilddynamik. Bilderfahrung. Van Gogh im Spiegel der Philosophie und Literatur“.